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Paulina

Ich kam, sah, und saß – oder: 12 Tage am Johanneshof

Beobachtungen von Paulina.


Vom Fenster meines Zimmers sah man einen kleinen Steinbuddha, der von Moos bewachsen und von gelben Blättern beschützt vor einem stillen Teich saß.


Das Zimmer selbst war frei von jeglichen Figuren (oder Kreuzen - irgendwie hätte mich in diesem alten, riesigen Bauernhaus ein unauffällig in der Ecke hängender Christus gar nicht groß überrascht). Es gab drei schmale Betten, Nachttische, einen großen Wandschrank und zwei Korbstühle auf die ich gleich meine Klamotten verteilte und so dem cleanen Raum seine Ordnung nahm. Eine Ecke für Klamotten für den Zendo (Meditationshalle) morgens: möglichst dunkel und warm. Dann etwas für die Küche, in der ich die meisten meiner Arbeitseinsätze verbrachte (im Zen „samu“ genannt): darf nach Küche riechen, vom Kochen dreckig werden und muss lange Ärmel haben. Eine letzte Ecke für Freizeit: bequem und warm, ohne Küchengeruch und sauber. Entsprechende persönliche (Haus-)schuhe für die Aktivitäten standen am Eingang jedes der drei Gebäude, welche den Johanneshof bilden.


Diese Kleidungsaufteilung half mir morgens, wenn um 5 Uhr die Person mit Weckdienst mit zügigen Schritten durch das gesamte Haus lief und uns mit einem Glockenbimmeln weckte. Nach einem - mit den Tagen immer kürzer werdender - Moment des Infrage-Stellens, warum ich mich eigentlich die letzten Tage bevor ich den ersten Vollzeitjob beginne um 5 Uhr freiwillig wecken lasse, hatte ich eine knappe halbe Stunde Zeit mich fertig zu machen und in den Zendo zu gehen.


Der Gang aus dem Haus in die noch dunkle, kalte und stille Nacht war dann immer ein wunderschöner Start in den Tag. Durch konzentriertes Klopfen auf ein Holzbrett (japanisch „Han“) vor dem Zendo wurden wir zur Meditation gerufen. Ich kann gleich sagen, dass der dabei entstandene Wunsch, in meiner Leipziger Wohnung auch jeden Morgen erst in den Garten zu gehen und für einen Moment der endenden Nacht zu lauschen, nicht in die Tat umgesetzt wurde. Aber hey, dafür gibt es ja den Johanneshof.



Zum Sitzen will ich gar nicht so viele Worte verlieren wie zur Aufteilung meines Kleiderhaufens - ihr kennt es ja.


Die ersten Tage im wunderschönen Zendo waren jedenfalls ganz besonders. Ich erinnere mich, dass ich mich im Laufe des Morgens oft fragte, in welcher Sekte ich eigentlich gelandet war: Die langen schwarzen Gewänder mit weiten Ärmeln, der tiefe Gong, das gemeinsame Rezitieren, die klaren Bewegungsabläufe, konzentrierte Mienen, kein Augenkontakt. Ich beobachtete viel, was um mich herum geschah, und auch, was diese neue Umgebung in mir auslöste. Anfangs stresste es mich sehr, nicht zu wissen, was ich genau tun muss, wann ich mich wie zu meiner Meditations-Matte drehen oder verbeugen soll oder in welche Richtung die Rezitationskarten (als Hilfe für Menschen, welche die Silben nicht auswendig konnten) schauen sollten. Ich spürte die Sorge, den Ablauf zu stören und gleichzeitig Trotz; wie soll ich das denn auch wissen, wenn es mir niemand erklärt? Die Einführung in die Meditation war eher knapp, ein Hausbewohner erklärte uns die Sitzhaltung und grob die Abläufe. Alles Weitere sollten wir „einfach“ so machen wie die anderen.


Mit den Tagen veränderte sich dieses Gefühl der Unruhe und Sorge, etwas falsch zu machen. Ich fand mich in den Abläufen, Verbeugungen, Niederknien usw. besser zurecht und mochte vor allem das kraftvolle gemeinsame Rezitieren. Morgens hatte ich oft mit Müdigkeit und Einschlafen zu kämpfen und meditierte deswegen manchmal mit offenen Augen. Glücklicherweise stellte ich nach einem ehrlichen Austausch mit anderen Helfer:innen fest, dass nicht nur ich morgens regelmäßig den Verdacht hatte, dass der Doan, welcher die Glocke schlägt, eingeschlafen ist – denn so lange können sich 40 Minuten doch nicht anfühlen?!


Als sehr angenehm erlebte ich, dass zwischen dem Sitzen abends und morgens bis nach dem Frühstück geschwiegen wird. Es öffnete den Raum für andere Wege, sich freundlich zu vergewissern/zeigen, dass man sich wahrnimmt. Meist mit einem kurzen Innehalten und einer Verbeugung, manchmal auch nur mit einem kurzen Augenkontakt oder Lächeln. Dies führte dazu, dass ich morgens weniger hastig herum lief. Nach der Morgenmeditation war es draußen schon heller und auf dem kleinen Steinweg zurück zu den Häusern blieben immer wieder Menschen stehen um den Blick ins Tal zu genießen. Die Stimmung war friedlich und ruhig.



Das Frühstück wurde in Form von „Oryoki“ zu sich genommen: Eine klösterliche Art auf Matten und an niedrigen Tischen, bei dem mit mehreren Schalen und in stark ritualisierten Abläufen gegessen wird. Auch hier wurde noch geschwiegen und die Verständigung erfolgte mittels kleiner Gesten und einem Gewahrsein dem Geschehen im Raum gegenüber. Diese Aufmerksamkeit war nötig, um zum Beispiel gemeinsam den Topf anzuheben und ihn in die Mitte des Tisches zu stellen. Beim Servieren zeigte man mit kleinen Gesten, wenn genug Reisbrei, Suppe oder Fruchtquark in den Schüsseln war. Ich war anfangs von den exakt vorgegebenen Handgriffen und der Geschwindigkeit, in der gegessen wird etwas überfordert. Mit den Tagen fühlte ich mich darin sicherer und genoss den ruhigen und feinen zwischenmenschlichen Kontakt. Diese Zeit des Tages ist mir besonders in Erinnerung geblieben, vielleicht genau, weil sie so klare Abläufe, Gesten, Gerüche und Geräusche hatte?


Vormittags und nachmittags trafen wir uns während der Seminarzeit im Hotzenhaus und es gab Vortrag und Austausch mit Richard Baker Roshi und Tatsudo Nicole Baden Roshi. Die beiden zusammen zu erleben ist immer ein Genuss. Nach Seminarende fanden anstelle der Vorträge achtsame Arbeitseinsätze statt. Zu diesen trafen wir uns alle im Haupthaus und Robert und eine andere Person machten ein kleines Räucherstäbchenritual. Meist half ich in der Küche das Mittag- oder Abendessen vorzubereiten, manchmal half ich beim Säubern der Gästeräume („soji“ genannt). Ein wirkliches Highlight war für mich das Laub rechen auf dem Weg zum Zendo.



An den freien Tagen konnte ich die Umgebung erkunden: einfach loslaufen und den Wanderschildern in die Richtung folgen, die am spannendsten klingt (Kreuzkirche, Ödlandkapelle usw.). Von diesen ausgedehnten Spaziergängen habe ich in der Wetterapp auf meinem Handy noch immer Herrischried eingespeichert. Immer wenn ich diese öffne, denke ich an meine Tage im Johanneshof - und es sind meist mindestens 3 Grad kälter als in Leipzig. Ich erinnre mich daran, wie ich morgens mehrere Strumpfhosen anzog um beim Meditieren nicht zu frieren und meistens mit einem anderen Gefühl aus dem Zendo heraus kam, als ich hinein ging. Manchmal war es dann auch einfach nur schon Tag - was auch schön war.


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Vielen herzlichen Dank all den Menschen, die diesen wunderschönen Ort beleben und betreiben und ihr Zuhause für uns Besucher:innen öffnen.


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